Untere Hauptstr. 5
Untersuchungen zum Anwesen Untere Hauptstraße 5 in Hockenheim ("Alte Apotheke")
Wie schon an der Adresse erkennbar, liegt das Grundstück sehr nahe am Ortsmittelpunkt, der
"Fortuna-Kreuzung". Dem entsprechend und weil es früher vom Rand des Bach-Hochgestades bis
zu dessen Ufer reichte, war und ist es wertvoll, wurde wohl schon zu fränkischer Zeit gerodet und
zunächst landwirtschaftlich genutzt. Als Hockenheim Im Jahr 1462 kurpfälzisch geworden war,
wurde nahebei am "Speyrer Weg" (heute " Karlsruher Straße") eine Zollstation eingerichtet und
das Anwesen wohl als Teil der eingezäunten Wiese genutzt, auf welche die durchziehenden und zu
verzollenden Tierherden getrieben wurden.
Ställe aus Holz bildeten wohl die erste Bebauung. Ihnen folgten bald Wohngebäude aus dem
gleichen Material, die wohl erstmals 1644, also gegen Ende des 30-jährigen Krieges, niedergebrannt
wurden, mit Sicherheit aber 1689, während des pfälzischen Erbfolgekrieges. In diesen schrecklichen
Zeiten der Not hatte niemand Zeit und Mittel, neue Steingebäude zu errichten und so entstanden
wieder Unterkünfte aus Holz. Das um 1840 entstandenen Hauptgebäude steht auf Grundmauern
aus rotem Sandstein, auch die Außenmauern bestehen aus diesem Material. Der tragende Teil der
Innenmauern wird gebildet durch starke Holzbalken aus Eichenholz, zwischen die kleinere Steine
und dämmende Materialien eingebaut wurden, nach außen abgeschlossen durch
Gipsbeschichtung . Als Geschossdecken dienen ebenfalls Balken, an die von unten Bretter genagelt
wurden, auf denen gepresstes Stroh liegt. Als Fußboden fungieren Holzdielen. Eine Deckung aus
Tonziegeln, getragen von starken Balken, schließt das Haus nach oben ab.
In der ältesten noch vorhandenen Grundbuch-Urkunde aus dem Jahr 1863 steht folgendes:
"Beschrieb für Hauß No.397 : Ein zweistöckiges Wohnhaus mit zwei Kellern, Scheuer und Stallung,
ein zweistöckiger Seitenbau, ein Magazin mit einem Balkenkeller, ein Schopf, drei Schweineställe,
ein Magazin an die Scheuer angebaut, vorn die Straße, hinten Samuel Lußheimer, neben selbst
Hauß No.396 und Johann Dietrich und Martin Hoffmann soll heißen Hartmann Witwe. Innerhalb
dieser Grenzen befindet sich der zum Haus gehörende Hofraum und Garten. Ferner die im Haus
befindliche zum Betrieb des Handelsgeschäftes gehörende Laden-, Comptoir- und
Magazineinrichtung. "
Diese für heutige Verhältnisse ungewöhnlich ausführliche Beschreibung beweist die der zentralen
Lage angemessene Nutzung auch als Geschäftshaus. Sie wurde erstellt am 22.07.1863 anlässlich
des Verkaufs des Objekts durch Peter Piazolo, Kaufmann und Ehefrau Anna Barbara geb. Koenig an
deren Sohn, Carl Piazolo, Zigarrenfabrikant. Den Kaufpreis konnten wir nicht ermitteln, wohl aber,
dass sich die Verkäufer lebenslange, unentgeltliche Wohn- und Nutzungsrechte für genau
aufgelistete Räumlichkeiten und einen Gartenteil einräumen ließen. In dieser Zeit wurde dem
Anwesen die Flurstück-Nr. 228 zugeordnet und die Größe mit 2449 qm angegeben.
Im Rahmen der Erbteilung wurden mit Wirkung vom 17.03.1910 folgende drei Kinder mit je 1/3
Miteigentumsanteil eingetragen: Elisabetha Josefa Lindau geb. Piazolo, Ehefrau des Kaufmanns
Losef Lindau in Heidelberg, Berta Margarete Erckenbrecht geb. Piazolo, Ehefrau des prakt. Arztes
Karl Erckenbrecht in Hockenheim sowie Peter Paul Piazolo, Zigarrenfabrikant in Hockenheim.
Letzterer übernahm die Anteile seiner beiden Schwestern mit Vertrag vom 15.10.1920; als
Gesamtwert werden 30.000 Mark genannt. In einen Grundbuchauszug vom April 1921 steht
folgende Objektbeschreibung: "Hofreite 662 qm, Hausgarten 1787 qm. Auf der Hofreite stehen a)
ein zweistöckiges Wohnhaus mit überbauter Einfahrt u. gewölbtem Keller ; b) ein Seitenbau mit
Wohnung; c) ein Magazin mit Balkenkeller; d) eine Scheune mit Stall, Barren und Balkenkeller; e)
Schweineställe mit Holzremise."
Nächster Eigentümer wurde im September 1929 Adolf Fuchs, ein 64-jähriger verwitweter
Apotheker, der vorher in der Oberen Hauptstraße wohnte und aus Ladenburg stammte. Er kaufte
das Anwesen für 33.000 Reichsmark, ließ das Erdgeschoß zur Apotheke umbauen und betrieb diese
noch einige Zeit unter der Bezeichnung "Stadtapotheke", ehe er Oskar Wurmsee einstellte, der aus
Dillingen in Bayern kam. Die Zusammenarbeit der beiden Apotheker klappte offensichtlich sehr gut,
denn Fuchs räumte in einem Erbvertrag dem Kollegen Wurmsee das Recht ein, das Anwesen für
18.000 Goldmark zu übernehmen. Dementsprechend wurde im wurde im April 1940 verfahren,
allerdings war das Anwesen um 3 qm kleiner geworden wegen "Feldbereinigung infolge
Kultivierung der Kraichbachniederung". Bemerkenswert ist auch, daß in dieser Zeit die
Straßenbezeichnung in "Bismarckstraße" geändert worden war.
Wurmsee verstarb Mitte 1947 und seine Witwe Wilhelmine Elisabetha Martha geb. Jülch wurde
neue Eigentümerin des jetzt wieder an der Unteren Hauptstraße liegenden Grundstücks. Im Jahr
1950 ließ sie zwecks Beseitigung kleinerer Kriegsschäden und Schaffung größerer Lagerflächen für
die Apotheke den hofseitigen Anbau um zwei Stockwerke aufstocken und dafür seitlich ein
zusätzliches Treppenhaus bauen. Die noch vorhandenen Pläne stammen vom damals in
Hockenheim führenden Architekten und Bauleiter Fritz Kraft.
Als nächste Eigentümerin ist ab dem Jahr 1961 die Tochter der Eheleute Wurmsee, Frau Martha
Wilhelmine Dickschat im Grundbuch eingetragen. Unter der Regie von ihr und dem Ehemann Dr.
Günther Georg Dickschat wurden im Jahr 1974 die Apothekenräumlichkeiten grundlegend
modernisiert und als "Alte Apotheke" wieder eröffnet. Die nächsten Einträge im Grundbuch
beziehen sich in den Jahren 2002 und 2003 auf verkaufte (Garten-)Teilflächen von insgesamt 227
qm, welche an Nachbarn abgegeben wurden.
Seit November 2004 sind Eigentümer des Anwesens die Erben von Frau Dickschat, nämlich ihr
vorgenannter Ehemann, Apotheker Dr. Dickschat und beider Sohn Holger, die noch heute im Objekt
wohnen. Die Apotheke wurde aus Altersgründen ab 01.09.2000 verpachtet und Ende 2010
endgültig geschlossen.
Verfasser Horst Eichhorn, unterstützt von den Herren Dr. Günther Georg Dickschat und Holger
Dickschat
Stand Oktober 2014